Fünf literarische Miniaturen widmen sich den sprachlichen, geographischen und geschichtlichen Fluchtpunkten vertriebener und geflüchteter LiteratInnen. Die 5-teilige Sendereihe stellt fünf SchriftstellerInnen vor, die ihre Sprachheimat verlassen haben.
Jeweils ein Beitrag ist Hilde Spiel und Bruno Schwebel gewidmet. In den 1930er Jahren flohen sie vor dem Nationalsozialismus aus Österreich. Ruth Weiss verließ das nationalsozialistische Deutschland. Österreich wurde für sie nur Zwischenstation auf ihrer Flucht; ihr gilt dir dritte Sendung der Reihe. Mit Seher Cakir und Amir Ibrahim werden schließlich zwei zeitgenössische AutorInnen vorgestellt, die derzeit in Österreich leben und arbeiten.
Diese Einblicke in Lebenserinnerungen, Lebensumstände und politische Zustände machen geschichtliche und literarische Analogien von damals und heute hörbar. Parallelen sind nicht zu überhören, sowohl die individuelle Betroffenheit als auch die aktuellen politischen Zusammenhänge. In den Beiträgen, Texten und Biografien der AutorInnen begegnen uns immer wieder Begriffe wie Exil, Flucht, Vertreibung und Asyl.
Fluchtpunkte – Teil 1: Bruno Schwebel

Bruno Schwebel wurde am 16. September 1928 in Wien geboren. Sein Vater Theodor Schwebel war Jude und auch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Ab 1934 lebte die vierköpfige Familie im Haus des Großvaters in Neulengbach. Nur kurze Zeit nach der Reichskristallnacht floh Theodor Schwebel gemeinsam mit seinem Sohn Helmut. Sie gelangten illegal über die französisch-deutsche Grenze in Lauterbourg nach Frankreich. Im Juni 1940, als sich die deutschen Truppen Paris näherten, floh die Familie nach Montauban im Süden Frankreichs. Am 6. November 1941 übergab der mexikanische Konsul in Marseille der Familie die Visa für Mexiko. Die mexikanische Regierung vertrat eine antifaschistische Position, sodass zahlreiche Familien, die von einem faschistischen System bedroht wurden, die Möglichkeit der Einreise bekamen.
Fluchtpunkte – Teil 2: Hilde Spiel

Hilde Maria Eva Spiel (Pseudonyme: Grace Hanshaw und Jean Lenoir; geboren 19. Oktober 1911 in Wien, Österreich-Ungarn; gestorben 30. November 1990 ebenda) war eine vielfach ausgezeichnete österreichische Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin. Hilde Spiel entstammte einer Familie assimilierter großbürgerlicher Juden. Nach der Matura in der Schwarzwald-Schule, an der unter anderem Arnold Schönberg, Adolf Loos und Oskar Kokoschka unterrichteten, wurde sie Mitarbeiterin der Tageszeitung Neue Freie Presse und studierte an der Universität Wien Philosophie. 1936 heirateten Hilde Spiel und der Schriftsteller Peter de Mendelssohn. Das Ehepaar emigrierte im gleichen Jahr wegen der antisemitischen Politik in Österreich nach London. Einige ihrer Erzählungen, die ihr Ehemann übersetzt hatte, wurden im Daily Express veröffentlicht. Der Ehe entstammten zwei Kinder, eine am 31. Oktober 1940 geborene Tochter und der 1944 geborene Sohn Felix de Mendelssohn. Hilde Spiel wurde 1941 britische Staatsbürgerin, und sie war von 1944 an als Essayistin für die Zeitung New Statesman tätig.
Fluchtpunkte – Teil 3: Ruth Weiss

Ruth Weiss (* 24. Juni 1928 in Berlin) ist eine Autorin, Performancekünstlerin, Dramatikerin, Filmemacherin und Schauspielerin. Bekannt ist Ruth Weiss vor allem für ihre Jazz-Poetry-Performances. Ruth Weiss wurde in eine jüdisch-österreichische Familie (ihre Eltern waren Oscar und Fani Weiss) in Berlin geboren. 1933 kehrten ihre Eltern auf der Flucht vor den Nazis vorerst mit ihr nach Wien zurück, wo sie die entscheidenden Kindheitsjahre im immer radikaler werdenden Klima des aufkommenden Nationalsozialismus erlebte. Ende 1938 konnte die Familie mit dem letzten Zug nach Holland und von dort in die USA emigrierten (ihre in Wien verbliebenen Verwandten kamen im Holocaust um), zunächst nach New York, dann nach Chicago, wo sie sich 1949 niederließ und während einer Jam-Session erste (private) Lesungen mit Jazzmusik-Begleitung gab, wobei sie, wie sie in einem Interview äußerte, Bebop für ihre Lesungen bevorzugt. 1952 zog sie nach San Francisco.
Fluchtpunkte – Teil 4: Seher Çakir

Seher Çakır (* 1971 in Istanbul, Türkei) ist eine Lyrikerin und Erzählerin türkischer Herkunft, die in Österreich lebt und in deutscher Sprache arbeitet. Çakır, die seit 1983 in Wien lebt, veröffentlichte ihre ersten lyrischen Texte in der zweisprachigen (deutsch/türkisch) Zeitschrift Öneri. In den Anthologien Die Fremde in mir (1999) und Eure Sprache ist nicht meine Sprache (2002) erschienen zudem Kurzgeschichten der Autorin. Die Nationalbibliothek des deutschsprachigen Gedichtes in München nahm Çakır in ihre Publikation Ausgewählte Werke VI (2003) auf.
Preise/Auszeichnungen:
2005 Preisträgerin des Literaturwettbewerbes “Schreiben zwischen den Kulturen”
2007/2008 Stipendiatin der Wiener Wortstätten, Theaterstück: Sevim und Savaş
2008/2009 erhielt sie das österreichische Staatsstipendium für Literatur
Fluchtpunkte – Teil 5: Ibrahim Amir

Ibrahim Amir, geboren 1984 in Aleppo, studierte Theater- und Medienwissenschaft in Aleppo. Nach drei Semestern wurde er wegen seines Engagements in einer kurdischen Studentenorganisation exmatrikuliert. 2002 ging er nach Wien, wo er ein Medizinstudium absolvierte und inzwischen als Arzt arbeitet. Während des Studiums begann er in deutscher Sprache zu schreiben. Sein erstes Theaterstück Habe die Ehre wurde am 29.01.2013 am Theater Nestroyhof Hamakom, Wien, in einer Produktion der Wiener Wortstätten uraufgeführt (Regie: Hans Escher).
Preise und Auszeichnungen:
– 2009 Exil-Literaturpreis »schreiben zwischen den kulturen« für die Kurzgeschichte In jener Nacht schlief sie tief
– 2013 Nestroy-Preis für Habe die Ehre in der Kategorie beste Off-Produktion
– 2018 Nominierung für den Mülheimer Dramatikerpreis für Homohalal
– 2018 Nominierung für den Nestroy für Homohalal in der Kategorie beste Off-Produktion
Wir danken der Edition Exil, dem Milena Verlag, Amir Ibrahim und Christian Kloyber für die Verwendung der Textmaterialien.
Fünf literarische Miniaturen widmen sich den sprachlichen, geographischen und geschichtlichen Fluchtpunkten vertriebener und geflüchteter LiteratInnen. Die Sendereihe „Fluchtpunkte“ möchte die Menschen und deren Schicksale aufzeigen, die hinter solchen Schlagwörtern völlig zu verschwinden scheinen. Hier zum Nachhören!Teil
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